Ein Rückblick auf eine ganz besondere Veranstaltung - Abend über Musik im Konzentrationslager bewegt in Vechta

Abend über Musik im Konzentrationslager bewegt in Vechta

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Es war ein äußerst berührender und eindringlicher Abend in der eiskalten Vechtaer Klosterkirche als Ulrike Migdal den Schicksalen von Herbert Thomas Mandl, Ilse Weber oder Paul Ben-Haim eine Stimme verlieh und Liv Migdal mit ihrer Violine deren Stücke spielte. Diese "ganz besondere Veranstaltung", wie Julian Hülsemann von der Partnerschaft für Demokratie (PfD) es nannte, stand unter dem Titel "Unerhört! Überleben durch Musik". Gemeint war Musik im Konzentrationslager, in diesem Fall in Theresienstadt. Ulrike und Liv Migdal traten in einen Dialog, offenbarten den Zuschauern eine Welt in der unglaublich ergreifende Musik unter schrecklichsten Umständen entstand. Der Abend fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wach bleiben! Heißt sich erinnern" zum Gedenken an den Holocaust statt.

„Die Noten waren meine Waffen gegen den Hunger.“Ulrike Migdal zitiert Herbert Thomas Mandl

Den Abend eröffnete die international renommierte Violinistin Liv Migdal mit dem Preludio aus Partita E-Dur (BWV 1006) von Johann Sebastian Bach. Warum, wurde recht schnell durch die darauf folgenden Worte von Ulrike Migdal deutlich: Sie berichtete vom Schicksal Herbert Thomas Mandls. Er kam 1942 mit 16 Jahren nach Theresienstadt. Dort stand er Stunde um Stunde zum Appel und ihn quälte dabei der Hunger. Der Gedanke an eine Partitur von Johann Sebastian Bach und die entsprechende Violinstimme, die er sich vorstellte, retteten ihn. Er sagte: "Die Noten waren meine Waffen gegen den Hunger."

Herbert Thomas Mandl ließ sich Geigenunterricht geben. Eine Stunde Unterricht kostete ihn eine Scheibe Brot. Was die Bedeutung der Musik für ihn nur unterstreicht. Hunger war ein ständiger Begleiter im Lagerleben. "Kein Ausweg" aus Lera Auerbachs "Ballett für eine einsame Violine" hieß das Stück, welches Liv Migdal dann spielte.

 

Lieder als Kraftquelle

Ilse Weber war ebenfalls Insassin in Theresienstadt. Dort kümmerte sie sich um die Kinder auf der Krankenstube des KZ. 1944 begleitete sie diese freiwillig nach Auschwitz und wurde dort in den Gaskammern umgebracht. Sie schrieb Lieder und Gedichte, "die zu einer Kraftquelle werden, um den Grausamkeiten des Lagerlebens zu trotzen". Hat man bereits bei den Schilderungen von Ulrike Migdal einen Kloß im Hals, ist man bei dem Lied "Und der Regen rinnt" sowie dem gesungenen Lied "Wiegala" den Tränen nah. Die Werke von Ilse Weber waren für viele im Konzentrationslager eine Überlebenshilfe. Allerdings sind nur 9 ihrer Lieder überliefert.

„Unser Kulturwille war unserem Lebenswillen ebenbürtig.“Ulrike Migdal wandelte die Worte Victor Ullmanns leicht ab und ersetzte adäquat durch ebenbürtig.

Ulrike Migdal konzentrierte sich in ihren Schilderungen auf die Kraft der Kultur und zitierte Victor Ullmann mit den Worten: "Unser Kulturwille war unserem Lebenswillen ebenbürtig." Im Original verwendet Ullmann das Wort adäquat. Und so entstanden unter grausamsten und unmenschlichsten Bedingungen Werke in allen kulturellen Bereichen. Die SS nutzte dies in Theresienstadt zu Propagandazwecken, um der Welt eine vermeintlich heile Welt zu zeigen. Und so klatschten die SS-Schergen Beifall, sagten sich: "Lasst sie doch ihren Spaß haben, morgen sind sie eh tot“, schildert Ulrike Migdal die Situation in Theresienstadt.

Helmke Jan Keden schreibt in einem Beitrag für "Aus Politik und Zeitgeschichte", "dass Musik häufig ein fester Bestandteil in Konzentrationslagern war". Er beleuchtet dabei auch die andere Seite der Musik in den Lagern. Er schreibt beispielsweise: "In den Konzentrationslagern wurde Gesang häufig auch als Mittel zur Demütigung und Erniedrigung der Inhaftierten eingesetzt."

 

Mit den Überlebenden gesprochen und Texte geschrieben

Ulrike Migdal hat die Texte formuliert und schaffte es innerhalb kürzester Zeit dem Zuhörer das richtige Maß an Informationen zu liefern, ihn emotional zu erreichen und gleichzeitig eine Einschätzung in die Bedeutung der Musik zu geben. "Sie trugen die Lieder wie ein starkes, seelisches Gerüst in sich", sagte Ulrike Migdal über Überlebende des Holocaust. Zuletzt schilderte sie das Schicksal von Paul Ben-Haim der aus Deutschland ins Exil ging. Ihre Worte basierten auf Gesprächen, die sie seit 1980 geführt hat und nun könne sie "bestimmte Dinge ins Licht setzen“. Die Musik ist dabei mehr als nur ein Beiwerk: "Die Musik soll niemals nur illustrieren, sondern etwas ganz Eigenes Aussagen.“ Dies gelang Liv Migdal mit ihrem virtuosen Violinenspiel und ihrer klaren und sanften Stimme.

Es war ein Abend, der unvergesslich bleibt, für jeden, der dabei war.