Lucian - Der Ukraine-Krieg aus der Sicht eines Fünfjährigen
Der Ukraine-Krieg aus der Sicht eines Fünfjährigen:
Omi, dann holst du Kürbisbonbons und Heidelbeeren. Und dann kann man mit Kürbisbonbons und Heidelbeeren und mit Blumen schießen. Ich habe dann ein Blumenschwert und ein Bauschwert. Mit dem Bauschwert kann man alles wieder neu bauen. Und dann machen wir bei dem bösen Mann (Putin) Laseraugen. Der Junge ist dann mein Bruder, ich habe nämlich keinen. Und dann sind wir Freunde. Dann kann der Junge auch Laseraugen haben, und dann kann der Junge mit seiner Mama wieder nach Hause in ein neues Haus. Dann spiele ich mit dem Jungen in seinem neuen Haus. Auf dem Fernseher spielen wir mit Lego. Ich habe 100.000 Legos. Weil ich so viele Legos habe, gebe ich etwas ab davon. Und dann können wir uns in Superhelden verwandeln. Überall wachsen Blumen. Wir können dann mit Blümchen auf den bösen Mann schießen, und dann sind überall Blümchen auf ihm und alles ist gut. Auf dem bösen Mann wachsen überall Blümchen, und dann ist er nicht mehr böse.
Und wenn man was Schönes sieht, kriegt man Herzchenaugen. Und dann kriegen alle Menschen, die das sehen, auch Herzaugen, weil sie sich freuen.
Und das Bauschwert baut das alles schön, und dann kriegt der Junge auch Herzaugen.
Omi, dann musst du das alles zu dem Bücherkaufer (Alfred) geben. Dann macht er ein Buch für Papa.
Vor einigen Tagen machte ich mit meinem fünfjährigen Enkelsohn Lucian einen Ausflug nach Kladow. Auf der Fähre vom Berliner Wannsee aus dorthin, nahmen wir im Unterdeck am Fenster Platz. Lucian holte kleine Schlümpfe und Tierfiguren aus seinem Rucksack, um während der 20minütigen Überfahrt mit ihnen zu spielen und ihnen den Wannsee zu zeigen. Eine ukrainische Mutter mit ihrem etwa achtjährigen Sohn gingen an uns vorbei, als der Junge neben uns stehenblieb, aufgeregt etwas zu seiner Mutter sagte und voller Freude auf die Figuren zeigte, mit denen Lucian spielte. Die Mutter wollte ihn wegziehen, ihr Sohn wollte nicht mit. Ich fragte ihn, ob er meinen Platz haben wolle, um gemeinsam mit Lucian zu spielen. Mutter und Sohn sprachen nur ukrainisch. Die Mutter nickte und nahm hinter ihrem Sohn Platz. Ich suchte mir einen Platz mit Blick auf die spielenden Kinder. Lucian sprach mit dem Jungen deutsch, der kleine Ukrainer in seiner Muttersprache. Und doch verstanden sie sich auch ohne gemeinsame Sprache, lachten und erzählten im gemeinsam im Spiel.
Als die Fähre anlegte, umarmte der Junge Lucian stürmisch, sagte lachend etwas zu ihm, Lucian hob die Hand, winkte und sagte „tschüss“.
Anschließend trafen wir Mutter und Sohn in einem Gartenlokal mit Kinderkarussell und buntem Eiswagen, nahe der Uferpromenade. Die Mutter kaufte Eis, zeigte mit den Fingern je eine Eiskugel, ihr Sohn wollte gern noch einen großen bunten Lutscher haben, die so verführerisch in einem Glas auf der Ablage standen, sie verneinte. Ich fragte sie mit Handzeichen, ob ich ihrem Sohn den Lutscher kaufen dürfe. Sie zögerte, das Kind schaute sie an, dann nickte sie und sagte auf Deutsch: danke.
Der Junge umarmte noch einmal Lucian und tanzte mit ihm vor dem Eiswagen, bevor er sich winkend von ihm verabschiedete, weil die Mutter ihn wegzog.
Lucian wollte auch Eis und Lutscher. Ich sagte ihm, dass er entweder ein Eis oder einen Lutscher haben könne. Als er mir antwortete, dass der Junge aber beides bekommen hätte, antwortete ich ihm, dass die Mama des Jungen nur wenig Geld hätte und ich ihm später erzählen würde, warum das so ist, und er, Lucian, doch immerzu etwas bekäme.
Die Antwort: Na gut, Omi, dann nehme ich ein Eis.
Als wir zu Hause waren, erzählte ich Lucian vom Krieg in der Ukraine und zeigte ihm auf dem Handy einige Bilder zerbombter Häuser. Dass Waffen immer etwas Schlechtes wären. Und dass der kleine Junge mit seiner Mama kein Zuhause mehr hätte, sie nach Deutschland flüchten mussten, weil bei uns Gottseidank kein Krieg wäre. Dass sie traurig wären, weil sie gern in ihrem Land gelebt haben, und sie deshalb auch nur ukrainisch sprächen, weil die Ukraine ihre Heimat ist. Dass der kleine Junge keine Spielsachen mehr hätte und dass ich mich deshalb sehr gefreut habe, dass Lucian so nett war und mit dem Jungen gespielt hat. Ich sprach davon, dass es auch bei uns arme Menschen gäbe, die sogar auf der Straße lebten und zeigte ihm meinen Roman, in dem es um Obdachlosigkeit geht. Dass man sich um sie kümmern müsse, ihnen etwas Geld, ein Brötchen, Obst oder etwas zu Trinken geben müsse. Er schaute sich das Cover an und erzählte mir, dass er auch schon Menschen gesehen hätte, die auf der Straße wohnen. Und er würde ihnen etwas von seinem vielen Spielzeug abgeben (Papa und Omi sagen immer, er hätte viel zu viel davon, das wäre nicht gut) und dann hätten die obdachlosen Menschen auch etwas zum Spielen und würden sich darüber freuen.
Und dann wollte Lucian eine Geschichte zum Krieg erzählen, die ich aufschreiben sollte und sie dann an den „Bücherkaufer“ (Alfred) schicken könne, damit er ein Buch daraus macht, dass er dann dem Papa schenken würde.
Der Wortlaut ist unverändert. Lucian sprach bis vor einigen Monaten nur Englisch.