Reimhard Rakow - Am Bahnsteig

Am Bahnsteig


Sommer flirrt über Gleise; Schwüle kapselt der Bahnhof überdacht,
Und, mit Farben beschmiert, zischen die Züge hindurch.
Matt steigen aus der Unterführung empor zum Bahnsteig die Menschen,
Und nach Ende der Schicht herrscht in ihnen die Leere
Wie an jedem Tag; verausgabt, erschöpft von Maloche
Nach Nichtstun und Ruhe verlangen die Hirne und Körper.
Aber die taktende Zeit fordert ein Nächstes; es deutet sich an
Fern im Zittern der Schienen wie vibrierender Luft
Die, eilig verdrängt, Signale aussendet; und die Weichen
Die Schalter, zuverlässig ergeben, verrichten den Dienst.
Und der Stunde gedenk schallt aus Lautsprechern die Zahl.
Jetzt auch entsteht ein Wehn und regt die Menschen am Steig auf,
Sieh! und das Sinnbild unseres Daseins, der Kampf
Entsteht offen nun auch; das Animalische, die Gewalt, kommt
Um einen Sitzplatz hervor, entäußernd in rohen Worten,
Im Schubsen, Treten und Boxen, und wenig bekümmert sie sich,
Dass auch der erstaunende Gegner dort, ein Bruder, ein Mensch,
Den mühseligen Tag traurig und prächtig verbracht hat.

auf Friedrich Hölderlin: Brot und Spiele
aus Reinhard Rakow, blind date, Gedichte 1


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