Thalia-Anna Hampf - Ein Eis. Nur eine Kugel Anlässlich eines Aufenthalts in der Gedenkstätte Ravensbrück)

Ein Eis. Nur eine Kugel
Thalia-Anna Hampf

Sonne tupft die Farben meiner Träume an die Wände meines schlimmsten Albtraumes. Mama hat mir davon erzählt. Irgendwann, sagte sie, irgendwann wirst du ren-nen. Viel weiter als die Mauern dich gucken lassen und wenn du dann am Horizont angekommen bist, nimmst du dein Herz und schüttelst es gut aus. Den Hunger, die Kälte, den Schmerz in deinen Gelenken, die pochenden Narben lässt du einfach dort liegen und dann gibt es nur noch Platz für alles, was du magst. Sie erzählte von Erdbeereis und Sahnebonbons. Das fand ich komisch. Wie bekommt man Sahne in Bonbons hinein? Manchmal hat sie geweint, weil sie uns die Haare geschnitten ha-ben. Ich habe immer gesagt, dass es mir gefällt, weil wir jetzt ganz gleich aussehen. Das ist das Einzige, was sie uns nicht wegnehmen können. Dann hat sie aufgehört zu weinen, aber ihr Lachen habe ich trotzdem nie wiederge-funden. Aber jetzt gehen wir Eis mit Erdbeeren essen. Wir dürfen gehen, haben sie gesagt. Mama! Ich muss es ihr gleich erzählen.


(Im KZ Ravensbrück saßen etwa 600 Kinder zusammen mit ihren Müttern ein. Einige waren auch ohne ihre Eltern nach Ravensbrück verlegt worden.)