24. November 2013 - aktuelle Autorin - Marlies Winkelheide
Marlies Winkelheide
Dipl.-Sozialwissenschaftlerin, Jahrgang 1948, Erfahrung in der Begleitung von Geschwistern behinderter Menschen seit 25 Jahren, für die sie gemeinsam mit Charlotte Knees im Bildungsbereich eigene Formen von Angeboten ent-wickelte, freiberuflich tätig, seit 2005 auch in der Beratungsstelle Geschwisterkinder der Lebenshilfe Bremen e.V.
Mehr Informationen auf der homepage
http://www.geschwisterkinder.de/
Veröffentlichungen im Geest-Verlag
Normal – besonders – außergewöhnlich?
Angedachtes – Angefragtes
Innenansichten – Außenansichten
Warum wird es manchmal als schlimm oder bedroh-lich empfunden, müssen es Menschen abwehren, dass sie in einer besonderen Situation leben, eine besondere Geschwistersituation haben, manchmal viel und auch Außergewöhnliches leisten (leiden)?
Warum wird als Ausgrenzung empfunden, was aus-schließlich eine Beschreibung einer besonderen Le-benswelt sein soll?
Warum ist es so schwierig auszuhalten, besonders zu sein?
Das wertet weder andere Menschen ab, die in anders besonderen Lebenssituationen sind und sie auf ihre Weise bewältigen, das grenzt sie nicht aus.
Damit müssen sich andere Menschen nicht zwangsläufig ihrer Verantwortung für ein Gesamtes entziehen, das das Besondere mit umfassen und ein-schließen soll.
Es können nur Spekulationen sein.
Darf man sich des Besonderen nicht zu sehr bewusst werden, damit es auszuhalten, zu tragen ist?
Steht es eventuell im Zusammenhang mit eigenem früherem Verhalten, als man selbst noch nicht in dieser besonderen Lebenssituation war, sie nicht kannte, viel¬leicht in seine Gedanken auch nicht mit eingeschlossen hat?
Gehörte man zu den Menschen, die diese Lebensmöglichkeit und das Verhalten von Menschen darin mit Bewunderung versehen und damit eher abgetan haben?
War man einer von den anderen, von denen man sich heute nicht verstanden und mitgetragen fühlt, weil man diese Lebenssituation nicht als eine mögliche Normalität kannte?
Was macht es so schwierig, ‚besonders’ und / oder ‚außergewöhnlich’ zu sein?
Fehlt dieser Lebenssituation das Maß an Anerken-nung, das sie braucht?
Ist das eventuell für andere Lebenssituationen auch normal?
Was ändert sich wirklich, wenn man zum Beispiel zu-lassen könnte zu erkennen, dass die Situation zweier Geschwister, von denen das ältere Kind eine Behinde-rung hat, andere Eigenschaften erfordert und fördert als die Situation von zwei Geschwistern in einer Familie ohne ein Kind mit Behinderung?
Da man die eigene Familie als normale Familie erlebt, die Besonderheiten oft nicht erkennen kann, dadurch verliert man den Blickwinkel für ganz ‚normale’ Situa-tionen. Dazu ein Beispiel:
Als ich mit dem Vater einer Familie mit behinderten Kindern zusammen mit einer Familie mit drei Kindern unterschiedlichen Alters ein Museum besuchte, war er nach zwei Stunden ungewöhnlich erschöpft. „Ich wusste gar nicht, wie anstrengend normale Kinder sein können.“ Während sein Interesse bei Ausflügen mit seinen Kindern auch vorhandenen Behindertentoiletten und Wickelräumen galt, der überhaupt möglichen Zeit für den Besuch, der mitzunehmenden Verpflegung, der Anstrengung insgesamt für Kinder und Eltern, erlebte er hier Kinder, die sich darum stritten, wer zuerst was und wie lange spielen durfte, was wer essen wollte, wie viel ein ‚normaler’ Jugendlicher überhaupt essen konnte, wie viel Geld im Shop ausgegeben werden konnte, was als gerecht galt, welche Vergleichsmöglichkeiten es geben konnte etc.
Die Kinder in seiner Begleitung hatten ein gutes Beneh-men und klar vorgegebene Regeln der Eltern. Sie waren weder auffällig noch anstrengend, aber eben als Ge-schwister miteinander in Konkurrenz. Ihm war durch das Zusammenleben mit seinen Kindern gar nicht mehr bewusst, welche Bedürfnisse ganz normale Kinder im Alltag haben.
Dieses gemeinsame Erleben zweier Familien und das Eingeständnis wurde eine gute Erfahrung für alle Beteiligten.