„Wo ist die Post?“, wispert Bennet seiner Oma zu. Ein echtes Postgebäude in Ganspe kennt der Drittklässler gar nicht. „Beim Frischland“, raunt die Oma zurück. Das Gespräch verläuft leise, schließlich möchten die beiden nicht die Lesung stören, die im Altarraum der St. Marienkirche stattfindet. Dort zitiert Steven gerade das Melkhus, das überzeugt ist, der wichtigste Ort im Berner Deichbereich zu sein. „Bei mir kann man schließlich Milchshakes trinken und ganz viel Eis essen.“
Umgehend wandert Bennets Aufmerksamkeit zurück zu den Vorlesern. Immer mehr Orte, die er nur zu gut kennt, kommen zur Sprache: die Feuerwehr, die Johanniter, die Schule samt Pausenhof, die Fassmer-Werft und der Deich. All diese Plätze stellen sich – durch Kinderaugen betrachtet – in diesem Wettstreit der Orte vor. Entstanden ist das Werk in den vergangenen Wochen im Rahmen eines Schreibprojektes der Grundschule Ganspe mit dem Geest-Verlag aus Vechta.
Die Viertklässler haben sich Gedanken darüber gemacht, welche Orte typisch für ihren Schuleinzugsbezirk zwischen Bardenfleth und Weserdeich sind. Anschließend zogen sie los, um Experten, wie die Besitzer der Werft oder die Betreiber des Supermarktes, über die Historie der Plätze zu befragen. Herausgekommen ist der Roman „Der Zauberer Waba Begamotz und der Wettstreit der Orte in Ganspe“. Ein Stadtführer der besonderen Art. Aus Kindersicht erzählt, nichtsdestotrotz gründlich recherchiert und informativ.
Der Leser erfährt sowohl etwas über Ursprung und Länge der Weser wie über die Geschichte der St. Marienkirche. Und auch Persönliches kommt nicht zu kurz. So fungiert der Laden Frischland noch unter seinem Gründungsnamen Konsum als „Eheanbahnungsinstitut“. Der etwas sperrige Name des Zauberers setzt sich aus den Ortschaften Warfleth, Bardenfleth, Berne, Ganspe und Motzen zusammen.
Bennet und die anderen Zuhörer, in erster Linie Eltern und Großeltern, aber auch einige Drittklässler, erfahren immer wieder Neues über ihr Wohnumfeld, entdecken aber auch Altbekanntes und Liebgewonnenes. „Ich bin so wichtig, weil die Kinder auf mir toben können“, poltert der Deich, alias Lukas. „Und im Winter können sie sogar Schlitten fahren.“ Bennet atmet tief durch. „Stimmt!“, entfährt es ihm, in Gedanken vermutlich noch bei der letzten eigenen rasanten Abfahrt.
Als besonders „spannend, witzig und flüssig“ beschreibt Reinhard Rakow, der Initiator der Berner Bücherwochen, den 150-
seitigen Roman. „Alle Leute haben mich für verrückt erklärt“, berichtete Verleger Alfred Büngen zu Beginn der Lesung am Freitagabend. Man könne mit vierten Klassen keinen Roman schreiben, hätten die Kritiker gemahnt. Büngen und die Gansper Schüler belehrten sie eines Besseren.
„Der Zauberer Waba Begamotz“ überzeugt nicht nur inhaltlich. Stilistisch wartet er mit fantasievollen Bildern auf. So rollt die Bank mit ihrem „majestätischen, kugelsicheren Ferrari“ verspätet zum Treffen der Orte an, weil es „beim Landen meines diamantenbesetzten Privatjets“ Probleme gab. Der Friseurladen hat für das letzte Stück der Strecke den „Föhn-Power-Antrieb“ seines Skateboards eingeschaltet. „Es ist ein Feuerwerk von Ideen, Verrücktheiten und kleinen Sentimentalitäten – immer aus der Sicht der Kinder“, brachte es Verleger Alfred Büngen am Ende der einstündigen Lesung auf den Punkt. Interessierte können den Roman über die Grundschule Ganspe beziehen.
Einen Tag später stellten Büngen und Rakow eine weitere Neuerscheinung der vierten Berner Bücherwochen vor. In der Kulturmühle Berne präsentierten sie „Ein Lesebuch für die Wesermarsch – Manche schlafen ein mit der Katze“. Menschen, die aktuell in der Wesermarsch wohnen oder mindestens 15 Jahre zwischen Weser und Jadebusen gelebt haben, durften sich beteiligen. Mehr als 350 Autoren sendeten ihre Beiträge ein. 84 Gedichte, Märchen und Erzählungen schafften es in das knapp 500-seitige Werk. Ein „literatierischer“ Kalender soll Anfang Dezember folgen.
Aufgrund einiger unerwarteter Spenden, konnte Reinhard Rakow einen Preis für den besten Beitrag vergeben. Doch die Jury konnte sich nicht einigen. So wurde das Preisgeld in Höhe von 300 Euro gesplittet. Einen Preis erhielt Edith Koschnick für ihr „Märchen, das keiner hören wollte“. Aus Sicht einiger Hennen schildert sie das Leben in einer Legebatterie und den Traum des Federviehs, mit einem Hahn im Freien zu leben. „Die allegorische Fabel bringt wesentliche Aspekte der Massentierhaltung auf den Punkt“, urteilte Rakow für die vierköpfige Jury.
Eine weitere Auszeichnung erhielt Ekkehard Scheufler für seine Erzählung „Der Pastor dankt dem lieben Gott und seinem Hund“. Die Jury befand, dass Scheufler „gewürzt mit einer Prise Mutterwitz“ ein farbiges Bild der Befindlichkeiten im Haus des Warflether Nachkriegspastoren Düsterbehn gezeichnet hat.
Am Sonntagabend lasen mit Thomas Ehlert und Georg Skrypzak im Rahmen der „Hallo Nachbar“-Vorlesereihe zwei Berner Autoren im Hotel Weserblick aus der Anthologie „Trotz alledem“ vor.