Gedicht des Tages

Ulrike Kleinert - Der Krieg in den Kindern (Gedicht des Tages)

Der Krieg in den Kindern

Eines Tages erreichte der Krieg Deutschland.
Er kam nicht mit Gewehren,
Granaten und Soldaten.
Er kam schlafend
auf dem Arm einer Mutter,
als Säugling.
Er schrie laut,
war hungrig und fror.

Neue Papiere bekam der Vater,
nur einen Staat nicht,
der sie alle nimmt
als seine Bürger.
Was soll ein Krieg
mit Staat und Papier?
Der Krieg will nur
den Krieg.

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Szanislaw Wygodzki - Das Fenster ( zur Erinnerung an das unsagbare Geschehen der Reichsprogromnacht)

DAS FENSTER

Irgendwo ein Haus, ein Fenster und dahinter
ein Vorhang, zitternd, halb herabgerissen,
ein Schatten auf der gegenüberliegenden Wand,
und tote, hartnäckige Stille.

Der Schatten aber wie der Vorhang schwankt,
vom Wind in nebliger Dämmerung bewegt,
und wartet in der Stille bis zum Morgen
meines ungeschriebenen Briefes.

Niemandes Hand, niemandes Mund,
den Vorhang rissen Fremde nieder.
Hartnäckige Stille, leere Stube
und sonst nichts mehr.

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Marianne Pumb - Katzrnjammer (Gedicht des Tages)

 

Pumb, Marianne: Die Liebe scheint wirrich

 

Kammerjammer

Mir ist so jammer
jämmerlich
geh in die Kammer
kämme mich

Herz gebrochen
Kochen entwichen
Schönheit ist schon
lange verblichen

Haare struppig
Freude verdorrt
ich will aus meinem
Leben fort

Bin schon kläglich
schwach, knitterlich
will nicht werden
noch bitterlich

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Jenny Schon - Für George Grosz (Gedicht des Tages)

Für George Grosz

Solang ich lebe
Leide ich
Auch Leidenschaften
Sind lästig
Wenn ich mich betrachte
Sehe ich Abgründe
Den Sternen wäre ich nah
Sehr gern
Die Höhen möchte ich schon
Erklimmen
Mit den Zugvögeln ziehn
An den Strömen
Die Kontinente wechseln
Und meinen Horizont sehen

Dann weiß ich
Ich lebte
Ohne zu leiden
Ohne lästig zu sein
Den anderen eine

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Doris Egger - Der Spatz (Gedicht des Tages)

der spatz

den vögeln zusehen wie sie
sich sammeln
untrüglich vom instinkt
geleitet

einen spatz beobachten
der sich ängstlich in eine
hausecke zurückgezogen hat
zu schwach
um mit den schwalben
in wärmere regionen ziehen zu können
spüren dass er nicht zu den
auserwählten gehört

mit dem spatz kommunizieren
mit telepathischen fähigkeiten
seine eingeweide zerlegen
und daraus
gleich den alten römern
das eigene schicksal
herauslesen

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Safinaz Hallioglu - Auge der Zuneigung (Gedicht des Tages)

 

Auge der Zuneigung

Das Auge der Zuneigung entfernte ich eines Tages
Um ohne Hilfe die Umgebung zu schauen
Die Farben verzerrten sich, gesichtslos die Gesichter
Liebe verachtet, Güte umgekippt

Nachtigallen ohne Zunge, Mütter herzlos
Bäume ohne Ast blätterlos sah ich
Freunde, Verwandte, leiden konnte ich nicht mehr
Alle als meine Feinde empfand ich

Der Himmel auf Erden zur Hölle werdend
Was Mitleid heißt, wusste ich nicht mehr
Ekelte mich vor allem, was ich sah
Auch hören wollte ich nichts mehr

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