Gedicht des Tages

Brigitte Spreitzer - Ein Sturmstoß (Gedicht des Tages)

Ein Sturmstoß aus Nichts
lockert jäh mir den Griff
Die Hände
andrem unterstellt
als meinem Wollen
lassen los, stumm erschreckend los
Etwas
ganz anders als Denken
ganz anders
gewahrt mein Verlorensein
Versteht es in stummem Erschrecken
sich an Nichts zu halten
Weiß es ganz
Spiraliges Nebeln
in Abgrund und Grund
ganz anders als Fühlen
ganz anders
erkennt mich substanzlos Sein.

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Ostseeruinen von Pablo Neruda (autorisierte Übersetzung aus dem chilenischen Spanisch von Heinz Fischer, München)

Pablo Neruda
Ostseeruinen

 

 

 

Ostsee-Ruinen

Danzig, vom Krieg zersiebt,
zerrissene Rose -
wie ein Gespenst unter Gespenstern,
zwischen dem Meergeruch
und dem hohen hellen Himmel,
zwischen orangesilbernen Trümmern,
ging ich durch deine Ruinen.
Der Nebel drang mit mir ein,
die eisige Schwade,
und im Herumirren
entwirrte ich die Straßen
ohne Häuser und Menschen.

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Ulrike Kleinert - Der gelbe Rock (Gedicht des Tages)

Ulrike Kleinert
Der gelbe Rock

 

 

Der gelbe Rock

Der gelbe Rock
blendet den dunklen Mantel.
Sein Schlitz
gibt die atmende Haut frei,
den Geruch von Zimt
und Zitrone.

Den Mantel lang,
überm Haar das Tuch,
keine Spur Haut,
der Duft der Frau
bewahrt für zu Haus.

So kreuzen
geschlitzter Rock und langer Mantel,
werden der Jogginghose
kaum gewahr,
des federnden Turnschuhs.

Jede Frau auf ihrer Bahn.
Wie sieht sie
die andere wohl an?

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Safinaz Hallioglu - Die Konferenz (Gedicht des Tages)

Die Konferenz

Mein Krebs und ich
Trafen uns am Konferenztisch
Um zu verhandeln
Wir zählten beide auf
Was bereits wem gehört

Dem Krebs gehörten
Eine Lunge, Leber, Darm, der ganze Bauch
Eierstöcke, eine Brust sowıeso
Die Wirbelsäule als Ganzes
Und der Knochen viele
Dazu dein Leben
Sagte mein Krebs mir

Mir gehörten nur noch
Arme, Beine, Gehirn, Herz
Und meine Seele

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Kurt Ismer - Wie hinter Nachtgärten (Gedicht des Tages)

Download: Audio icon ismerknut.mp3

Knut Ismer

Wie hinter Nachtgärten

Wenn nachts die Autos
in den Alleen schlafen,
geh’n unsre Seelen
im Traum spazieren.

Die Nachtlaternen leuchten
ihr mildes Licht ins Dunkel,
erhellen nur den Dieben
den Blick in bess’re Zeiten,
derweil die Schwärmer
ihren Leuchtturm preisen.

Die zugeschneiten Rosen
betören ihre Gäste
noch in Erinnerung,
die stillen Partys geh’n
am weiten Schienenstrang
den gleichen Weg zum Ziel.
 

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Thi Quynh Anh Nguyen - Der kahle Karl (Gedicht des Tages)

- gesprochen von der Autorin -

Einst lebte ein armer kahler Karl.
Kahl, weil er keine Haare hatte.
Arm, weil er noch jung war.
Der arme kahle Karl konnte nichts dafür.
Er war kahl. Der Arme.
Der kahle Karl war ein ganz komischer Junge.
Er spielte weder mit den anderen Kindern
Noch mit den anderen kahlen Karls,
Den alten kahlen Karls.
Karl war komisch.
Karl war kahl.
Karl blieb immer zu Hause.
Auch da spielte er nicht.

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